Am 1. Januar 2022 trat die neugefasste EU-Öko-Verordnung in Kraft. Ihre Regelungen betreffen auch junge Pflänzchen am stetig wachsenden Bio-Markt, die ökologischen Zierpflanzenbetriebe.
Wie alle anderen Öko-Betriebe müssen auch sie ihrer Öko-Kontrollstelle seit Anfang Januar mit einem sogenannten „Vorsorgekonzept“ nachweisen, wie Kontaminationen von Bio-Pflanzen mit nicht für den ökologischen Anbau zugelassenen Betriebsmitteln (Dünger, Pflanzenschutz) und auch eine mögliche Vertauschung von Öko-Pflanzen und konventioneller Ware vermieden werden. Allerdings geht es dabei nicht darum, dass jegliche Kontamination von Öko-Zierpflanzen in den intensiven Anbauregionen völlig ausgeschlossen ist und die Produktion von Öko-Zierpflanzen künftig unter einer Glasglocke erfolgen muss. Es geht nur um die Bereiche, die im Verantwortungsbereich des eigenen Betriebs liegen und nicht darum, was der Nachbar tut.
Das BÖLN Projekt „Erarbeitung eines Leitfadens zur Zertifizierung der Produktion und Vermarktung von Bio-Zierpflanzen nach EU-Öko-VO“ beschäftigt sich mit diesen Vorsorgekonzepten und soll kritische Punkte identifizieren, praxisgerechte Vorsorgemaßnahmen vorschlagen und in einem Online Leitfaden veröffentlichen. Das Projekt wird seit Februar 2020 von der Bioland Beratung GmbH gemeinsam mit den beiden Öko-Kontrollstellen Gesellschaft für Ressourcenschutz mbH (GfRS) und der ABCERT AG bearbeitet.
Viel klarer als bisher ist in der novellierten EU-Öko-Verordnung festgeschrieben, dass Bio-Pflanzen grundsätzlich in gewachsenem, lebendigem Boden mit Kontakt zu Unterboden kultiviert werden müssen. Ausgenommen von dieser Regelung sind lediglich Kräuter und Zierpflanzen, wenn sie im Topf an Endverbraucher:innen verkauft werden sowie Sämlinge und Stecklinge für die weitere Umpflanzung. Als weitere Ausnahme ist die Treiberei von Chicorée in Wasser oder im Substrat aus biokonformen Komponenten erlaubt. Die Treiberei von Schnittlauch und Tulpen auf Tischen bzw. in Kisten ist dagegen Bio-Betrieben künftig untersagt. Sie wird nur noch bei einem Verkauf als Topfkultur oder bei einer Produktion im gewachsenem Boden möglich sein. „Dieses EU-Verbot ist nicht nachvollziehbar,“ sagt Klaus Bongartz, Anbauberater im Bereich Topf- und Zierpflanzen. „So stehen Konsument:innen zukünftig im Winter bzw. frühen Frühjahr keine regionalen Bio-Schnittlauchbunde und keine Bio-Schnitttulpen mehr zur Verfügung und den Bio-Betrieben gehen Einnahmen verloren.“
Im Rahmen des BÖLN-Projektes wurde 2020 schon frühzeitig erkannt, dass die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Neuregelungen für Vermehrungsmaterial das „Aus“ für weite Bereich des ökologischen Zierpflanzenbaus bedeutet hätten. Auch spezialisierte Jungpflanzenerzeuger im Erwerbsgemüsebau und Baumschulen im Öko-Obstbau wären massiv negativ betroffen gewesen. Andrea Frankenberg von der Bioland Beratung GmbH kommentiert dazu: „Im BÖLN-Projekt wurde uns beim Studium der vorgeschlagenen EU-Regelungen sehr schnell klar, dass die EU-Kommission die komplexen, arbeitsteiligen Prozesse im Zierpflanzenbau nicht überblickt“.
Der Anbauverband Bioland trug die Debatte bis zum BÖLW und zu IFOAM Organic Europe, wo ein Erklärvideo zum EU-Vorschlag entstand. Viele weitere Akteure wurden aktiv wie u.a. die ÖKOmene, die föga e.V. (Fördergemeinschaft für ökologische Zier- und Gartenpflanzen e.V.) und die FÖKO e.V. (Fördergemeinschaft Ökologischer Obstbau e.V.). Europaweit wurden über 400 Kommentare zum EU-Vorschlag auf der Rückmeldeplattform der Europäischen Kommission eingetragen – ein Novum beim Novellierungsprozess zur neuen EU-Öko-Verordnung. Die Thematik gelangte bis ins Europäischen Parlament, das sich fraktionsübergreifend in Gesprächen mit der EU-Kommission für eine bessere Lösung einsetzte.
Kurz vor dem Ende des Jahres 2020 kam dann die gute Nachricht: Die EU-Kommission vereinfacht den vorgeschlagenen, sehr komplizierten Verfahrensablauf überraschend doch. Für generatives und vegetatives Pflanzenvermehrungsmaterial soll nun gelten, dass Pflanzen aus konventionellem Ausgangsmaterial (z.B. Samen, Stecklinge etc.) bei Nichtverfügbarkeit von Bio-Vermehrungsmaterial mit einer Ausnahmegenehmigung verwendet werden darf und mit Bio-Hinweis gekennzeichnet werden können.
Allerdings gibt es für die Pflanzung von konventionellen Sämlingen (aus Samen gezogene Jungpflanzen) von Arten, deren Anbauzyklus innerhalb einer Vegetationsperiode abgeschlossen ist, nach wie vor keine Ausnahmegenehmigung (z.B. Salat). Sämlinge von Arten, die länger als eine Vegetationsperiode wachsen, sind nun ausnahmegenehmigungsfähig (z.B. Unterlagen, Ziersträucher, Weihnachtsbäume).
Die Veröffentlichung der entsprechenden Rechtsregelung im Amtsblatt der EU steht aktuell noch aus, obwohl sie dem Vernehmen nach final abgestimmt ist. Die Regelung soll dann rückwirkend zum 1. Januar 2022 in Kraft treten.
Das BÖLN-Projekt engagiert sich aktuell dafür, das Genehmigungsverfahren für konventionelles Vermehrungsmaterial für die betroffenen Betrieben möglichst einfach zu gestalten. „Fachlich sinnvoll wäre es, wenn Öko-Zierpflanzenbetriebe zunächst allgemeine Genehmigungen für die Verwendung von unbehandeltem konventionellem Vermehrungsmaterial von den zuständigen Landesbehörden in Deutschland erhalten würden“, so Susanne Dlugowski von der GfRS. „Dabei sollte jeder unnötige Dokumentationsaufwand, mit dem der weitere Ausbau des ökologischen Zierpflanzenanbaus in Deutschland abgewürgt wird, vermieden werden.“ Die für Deutschland verpflichtende Datenbank „OrganicXSeeds“, in der Öko-Betrieben die Marktverfügbarkeit von Bio-Vermehrungsmaterial abrufen und Genehmigungen für konventionelles Vermehrungsmaterial einholen können, enthält für Öko-Zierpflanzenbetriebe bisher weder die erforderlichen Informationen noch ist sie praxisgerecht ausgelegt. Das BÖLN-Projekt hat den zuständigen Landes-Öko-Behörden daher Unterstützung bei der Einrichtung einer Fachgruppe „ÖkoZierpflanzen“ beim Begleitgremium der OrganicXSeeds angeboten. Daneben wird es nach Veröffentlichung der neuen EU-Regelung darum gehen, Betrieben, Behörden und Öko-Kontrollstellen Informationen zur sachgerechten Umsetzung der immer noch komplexen EU-Regelung zu vermitteln.
Andrea Frankenberg und Gwendolyn Manek, Bioland Beratung GmbH, Susanne Dlugowski und Dr. Jochen Neuendorff, GfRS (Gesellschaft für Ressourcenschutz), Christiane Stehen und Dr. Georg Eckert, ABCERT AG, Klaus Bongartz, freier Berater